Isotopenanalysen und andere geochemische Studien dominieren diesen Monatsrückblick. Neues gibt es zum Aussterben der Neandertaler, und vielleicht wurde nun der mysteriöse, höchst umstrittene Meteorit der Jüngeren Dryas gefunden. Eisbohrkerne werfen auch weiteres Licht auf die Klimakrise nach 536 n.Chr. sowie das Abschmelzen der Alpengletscher am Ende der Kleinen Eiszeit. Viel Spaß beim Lesen!
Neandertaler: mögliche Beziehung zwischen Kaltphasen und Bevölkerungsrückgang
Die Isotopenanalysen von Mineralablagerungen (Speläotheme) aus der Ascunsă-Höhle und der Tăuşoare-Hähle (Rumänien) in den Karpaten zeigen vor 44 000 bis 40 000 zwei sehr kalte, trockene Phasen (vor 44 300-43 300 sowie 40 800-40 200 Jahren), die auch mit Kaltphasen in grönländischen Eisbohrkernen (die Grönland-Stadiale GS12 und GS10) korrelieren; das dazwischenliegende Grönland-Stadial GS11 ist nicht so auffällig. Alle drei Phasen entsprechen außerdem relativ fundleeren Perioden in einer ganzen Reihe von europäischen Neandertalerfundstellen; in die letzte Phase fiel das Verschwinden der Neandertaler aus Europa. Die Autoren schlagen daher die Hypothese vor, dass die Bevölkerung der Neandertaler in Europa sukzessiv durch Kälteeinbrüche reduziert wurde, bis sie vor etwa 40 000 Jahren ganz zusammenbrach.
- Staubwasser, Michael, Virgil Drăgușin, Bogdan P. Onac, Sergey Assonov, Vasile Ersek, Dirk L. Hoffmann, und Daniel Veres. „Impact of Climate Change on the Transition of Neanderthals to Modern Humans in Europe“. Proceedings of the National Academy of Sciences 115, Nr. 37 (11. September 2018): 9116–21. https://doi.org/10.1073/pnas.1808647115.
Neuer Einschlagskrater in Grönland wohl aus dem Holozän - der mysteriöse Meteorit der Jüngeren Dryas?
Im nordwestlichen Grönland zeigen Radarmessungen eine runde Senke mit 31 km Durchmessern und geochemische Analysen der Umgebung lassen einen zerbrochenen Stein-Eisen-Meteoriten vermuten. Da die Struktur unter einer etwa ein Kilometer dicken Eisdecke liegt, sind viele Details noch unsicher; vermutlich fand der potenzielle Einschlag aber im Holozän statt, denn das holozäne Eis ist ungestört, das ältere pleistozäne Eis aber offenbar reich an Gesteinsschutt. Ein Einschlag dieser Größe müsste erhebliche Auswirkungen auf das Klima gehabt haben. Eventuell unterstützt der Fund die umstrittene Einschlagstheorie der Jüngeren Dryas, einer Kälteperiode nach dem Ende der Eiszeit vor etwa 12 700-11 700 Jahren. In den letzten Jahren waren immer wieder indirekte (und umstrittene) Hinweise auf einen großen Kometen oder Meteoriten als Auslöser der Abkühlung vorgebracht worden (siehe etwa Panorama 7/2018).
- Kjær, Kurt H., Nicolaj K. Larsen, Tobias Binder, Anders A. Bjørk, Olaf Eisen, Mark A. Fahnestock, Svend Funder, u. a. „A Large Impact Crater beneath Hiawatha Glacier in Northwest Greenland“. Science Advances 4, Nr. 11 (1. November 2018): eaar8173. https://doi.org/10.1126/sciadv.aar8173.
- Voosen, Paul. „Massive crater under Greenland’s ice points to climate-altering impact in the time of humans“. Science, 14. November 2018. https://www.sciencemag.org/news/2018/11/massive-crater-under-greenland-s-ice-points-climate-altering-impact-time-humans.
Vulkanausbrüche in den Jahren 536, 540 und 547 in Schweizer Gletscherbohrkernen
Im Jahr 536 n.Chr. wurden in ganz Europa Dunstschleier, Kälteeinbrüche und Missernten berichtet, noch die nächsten hundert Jahre waren relativ kühl. Seit einiger Zeit gelten Vulkanausbrüche als Auslöser. In hochauflösende Bohrkernen aus dem Gletscher Colle Gnifetti (Schweiz/Italien) wurde nun Fragmente von vulkanischem Glas nachgewiesen, die auf einen kataklysmischen Ausbruch wohl auf Island im Jahr 536 hindeuten, gefolgt von weiteren Ausbrüchen in den Jahren 540 und 547. Der Bleigehalt des Eises (siehe auch Panorama 9/2017) zeigt um 540 eine Spitze: ein Hinweis auf Silberverarbeitung und damit das Erstarken der Wirtschaftskraft nach der Klimakrise. (Anmerkung: Der Bericht beruht anscheinend auf Workshop-Präsentationen, ein Fachartikel mit mehr Details scheint noch nicht verfügbar zu sein).
- Gibbons, Ann. „Why 536 was ‘the worst year to be alive’“. Science, 15. November 2018. https://www.sciencemag.org/news/2018/11/why-536-was-worst-year-be-alive.
Gletscherrückzug im 19. Jh. nicht durch industriellen Ruß ausgelöst
Mitte des 19. Jh. begannen viele Alpengletscher, sich zurückzuziehen. Bisher war unklar, ob dies auf die allgemeine Erwärmung am Ende der Kleinen Eiszeit zurückgeht oder auf die Ablagerung von Ruß der beginnenden Industrialisierung: Ruß macht das Eis dunkler, sodass es vom Sonnenlicht stärker erwärmt wird. Doch hochauflösende Analysen vom Colle Gnifetti (Italien/Frankreich) zeigen nun, dass die Gletscher am stärksten zwischen 1850 und 1875 abnahmen, während der Gehalt an industriellem Ruß erst ab 1875 den natürlichen Rußgehalt der Luft überstieg, als bereits 80% des Rückzugs stattgefunden hatte. In den letzten Jahren hatten Computersimulationen den Ruß als Hauptverursacher ausgemacht, aber die tatsächliche Rußmenge konnte bisher nur geschätzt werden. Mit den neuen Daten lassen sich nun auch die Modelle verbessern.
- Sigl, Michael, Nerilie J. Abram, Jacopo Gabrieli, Theo M. Jenk, Dimitri Osmont, und Margit Schwikowski. „19th Century Glacier Retreat in the Alps Preceded the Emergence of Industrial Black Carbon Deposition on High-Alpine Glaciers“. The Cryosphere 12, Nr. 10 (16. Oktober 2018): 3311–31. https://doi.org/10.5194/tc-12-3311-2018.
- Baroke, Dagmar. „Warum die Kleine Eiszeit Mitte des 19. Jahrhunderts endete“. idw, 17. Oktober 2018. https://idw-online.de/de/news704187.