Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein frohes neues Jahr mit der richtigen Mischung aus interessanten neuen Erkenntnissen und ruhigen Zeiten für Freunde, Familie und für sich selbst. Ein paar interessante Erkenntnisse hoffe ich auch in Zukunft in diesem Literaturrundblick beitragen zu können. Wir beginnen 2019 mit einer Kontroverse um das Ende der Römerzeit, über den unterschiedlichen Umgang der Menschen Südostasiens mit dem Holozänen Klimaoptimum, der Entwicklung von Nadeln als essenzielles Hilfsmittel der eiszeitlichen Menschen, sich zu kleiden und damit klimatisch ungünstige Lebensräume zu besiedeln, sowie einen Denkanstoß zur Zukunft der Umweltgeschichte (oder historischen Ökologie?) in Nordafrika. Viel Spaß beim Lesen!
Ende des Römischen Reichs: Umwelt oder nicht?
Das Buch "The Fate of Rome" von Kyle Harper stellt die These auf, dass das Römische Reich durch Umweltbelastungen, insbesondere das Ende des Klimaoptimums sowie durch Epidemien, zerfiel. Eine Gruppe internationaler Autoren zweifelt nun in einem umfangreichen dreiteiligen Fachartikel die Aussagen des Buches an. Zweifel bestünden an Harpers Verwendung von historischen Quellen und seiner Analyse von Paläoklimadaten, seiner Interpretation der Auswirkungen von Umweltfaktoren auf das römische Gesellschaftssystem sowie ingesamt seine Synthese der Sozial-, Wirtschafts- und Umweltgeschichte Roms. Aufgrund vieler erheblicher Mängel seien die Folgerungen des Buches anzuzweifeln. In einem begleitenden Artikel geht Harper auf diese Kritik ein.
- Harper, Kyle. The Fate of Rome: Climate, Disease, and the End of an Empire. Place of publication not identified: Princeton University Press, 2019, ISBN 978-0-691-19206-2.
- Haldon, John, Hugh Elton, Sabine R. Huebner, Adam Izdebski, Lee Mordechai, und Timothy P. Newfield. „Plagues, Climate Change, and the End of an Empire: A Response to Kyle Harper’s The Fate of Rome (1): Climate“. History Compass 16, Nr. 12 (2018): e12508. https://doi.org/10.1111/hic3.12508.
- Haldon, John, Hugh Elton, Sabine R. Huebner, Adam Izdebski, Lee Mordechai, und Timothy P. Newfield. „Plagues, Climate Change, and the End of an Empire. A Response to Kyle Harper’s The Fate of Rome (2): Plagues and a Crisis of Empire“. History Compass 16, Nr. 12 (2018): e12506. https://doi.org/10.1111/hic3.12506.
- Haldon, John, Hugh Elton, Sabine R. Huebner, Adam Izdebski, Lee Mordechai, und Timothy P. Newfield. „Plagues, Climate Change, and the End of an Empire: A Response to Kyle Harper’s The Fate of Rome (3): Disease, Agency, and Collapse“. History Compass 16, Nr. 12 (2018): e12507. https://doi.org/10.1111/hic3.12507.
- Harper, Kyle. „Integrating the Natural Sciences and Roman History: Challenges and Prospects“. History Compass 16, Nr. 12 (2018): e12520. https://doi.org/10.1111/hic3.12520.
Komplexe Jäger-Sammler neben Bauern im Holozänen Temperaturoptimum in Südostasien
In diesem Übersichtsartikel diskutieren Marc Oxenham et al. verschiedene kulturelle Reaktionen auf das Holozäne Temperaturoptimum (vor etwa 10 000 bis 5000 Jahren) Südostasien und zeigen, dass der Übergang zum Ackerbau nicht zwangsläufig aus dem Klimawandel folgt. Insbesondere vor 7200-6000 Jahren war es in China regional etwa 1-4 °C wärmer und deutlich feuchter als im 20. Jh. Etwa zu dieser Zeit wurde am Jangtsekiang der Reis domestiziert, und sesshafte Bauernkulturen entstanden. Doch gleichzeitig hielten sich auch komplexe Jäger-Sammler-Kulturen, etwa die Dingsishan-Kultur (Guangdong); man bezeichnet sie im Deutschen auch "wohlhabende Wildbeuter". Ausgrabungen in Con Co Ngua (im Norden von Vietnam) zeigen, dass diese Kulturen stets Zugang zu wilden protein- und kohlehydratreichen Lebensmitteln hatten, ohne dabei aber domestizierte Tiere oder Pflanzen zu nutzen. In vieler anderer Hinsicht, etwa der Nutzung von Keramik, den komplexen Bestattungsriten sowie der starken Verbreitung von Krankheiten ähneln diese Kulturen den frühen Ackerbaukulturen.
- Oxenham, Marc F., Hiep Hoang Trinh, Anna Willis, Rebecca K. Jones, Kathryn Domett, Cristina Castillo, Rachel Wood, u. a. „Between Foraging and Farming: Strategic Responses to the Holocene Thermal Maximum in Southeast Asia“. Antiquity 92, Nr. 364 (August 2018): 940–57. https://doi.org/10.15184/aqy.2018.69.
Erfindung von Knochennadeln vor 45-40 000 Jahren
Kleidung ermöglichte es den Menschen, auch in klimatische Regionen vorzudringen, an die sie physiologisch nicht angepasst sind, und auf Klimaschwankungen zu reagieren. Daher ist die Entwicklung der Kleidung in der Vorgeschichte ein wichtiges Element zum Verständnis der Rolle des Klimas in der Geschichte. Ein internationales Autorenteam hat nun eine umfangreiche Datenbank archäologischer Funden von Knochennadeln analysiert und kommt zu dem Schluss, dass Nadeln eine kulturelle Innovation sind, die in Eurasien vor etwa 45-40 000 Jahren aufkam, möglicherweise voneinander unabhängig in zwei Regionen in Sibirien und China.
- Errico, Francesco d’, Luc Doyon, Shuangquan Zhang, Malvina Baumann, Martina Lázničková-Galetová, Xing Gao, Fuyou Chen, und Yue Zhang. „The origin and evolution of sewing technologies in Eurasia and North America“. Journal of Human Evolution 125 (1. Dezember 2018): 71–86. https://doi.org/10.1016/j.jhevol.2018.10.004.
Umweltgeschichte in Nordafrika: Wie schließt man die Lücke?
Zwar werden Fragen der Umwelt in den Humanwissenschaften allgemein immer wichtiger, aber für Nordafrika stehen sie immer noch sehr am Rande, meint Brock Cutler. In einem Diskussionsartikel gibt er einen Überblick über die aktuelle Literatur und Forschungsrichtungen und schlägt Wege vor, die Lücke zu schließen. Da die Region stets ein im Schnittpunkt verschiedener Migrationen, Religionen, Handelsrouten, Imperien und anderer Bewegungen stand, argumentiert Cutler dafür, statt einer Umweltgeschichte eher auf "historische Ökologie" zu richten, also den Blick stärker auf die Ökosysteme zu richten, die mit der menschlichen Geschichte interagieren.
- Cutler, Brock. „Historical (f)Actors: Environments and Histories in Modern North Africa“. History Compass 16, Nr. 12 (2018): e12509. https://doi.org/10.1111/hic3.12509.